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7. Strafsenat: Angeklagter wegen versuchten Mordes zur Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten und vorbehaltener Sicherungsverwahrung verurteilt

Datum: 15.11.2023

Kurzbeschreibung: 

7. Strafsenat: Angeklagter wegen versuchten Mordes zur Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten und vorbehaltener Sicherungsverwahrung verurteilt

Der 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute einen 55-jährigen deutschen Staatsangehörigen wegen versuchten Mordes in vier tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchten Mordes in sechs tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie wegen weiterer Widerstandsdelikte und Straftaten nach dem Kriegswaffenkontroll- und Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zudem bleibt die Sicherungsverwahrung vorbehalten.

 

Feststellungen des Senats zu der Gesinnung des Angeklagten und seinen Waffen

Nach den Feststellungen des Senats ist der Angeklagte bereits seit 2016 wiederholt durch typische „Reichsbürger- und Selbstverwalterschreiben“ an Behörden aufgefallen. Im Juni 2016 hat er außerdem einen sogenannten Reichs-Personenausweis erworben.

 

Ende 2021 ließ sich der Angeklagte auf einem Gehöft in Boxberg-Bobstadt nieder, dessen weitere Bewohner ebenfalls eine vollkommen staatsablehnende Haltung vertraten, und lebte dort abgeschottet als Selbstversorger. In dieser Zeit verdichtete sich sein Verhalten im Sinne einer staatsfeindlichen Radikalisierung. In den Monaten vor der Tat erklärte der Angeklagte in mehreren Schreiben an Behörden, die Bundesrepublik Deutschland sei eine privatrechtliche Firma ohne hoheitliche Rechte und deren Gesetze hätten keinen Geltungsbereich mehr. Es gelte allein alliiertes Besatzungsrecht und die Bediensteten der Behörden würden für ihr Handeln privat in Haftung genommen. Ende Februar 2022 suchte er das Hauptzollamt Heilbronn auf, wo er gegenüber einem Beamten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesländer und der Bundesregierung bestritt. Weiterhin drohte er: „Ich komme aus Sachsen, man hat euch 1989 davonkommen lassen, das nächste Mal wird das nicht passieren.“ Einen Bediensteten des Finanzamts Tauberbischofsheim beleidigte er in einem Telefonat Anfang April 2022 und drohte, im Fall weiterer Schreiben des Finanzamtes an ihn dort persönlich vorbeizukommen.

 

Seit spätestens Mitte 2016 legte sich der Angeklagte illegal zahlreiche, vorwiegend voll- und halbautomatische Schusswaffen und zugehörige Munition zu. Darunter befanden sich ein Sturmgewehr G3 und eine Maschinenpistole der Marke Uzi, die jeweils dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterfallen. Die spätere Tatwaffe, ein Sturmgewehr vom Typ Zastava M70, ein Nachbau des Sturmgewehrs Kalaschnikow AK 47, hatte er im Februar 2016 als unbrauchbar gemachte Dekorationswaffe erworben und in der Folgezeit in einen funktionsfähigen Zustand versetzt oder versetzen lassen.

 

Aufgrund seiner extrem fortgeschrittenen Radikalisierung war der Angeklagte bereits seit seinem Umzug auf den Selbstversorgerbauernhof, den er als nicht der staatlichen Rechtsordnung unterworfenes Gebiet ansah, zum Schusswaffeneinsatz gegen Repräsentanten des Staates entschlossen, sollten diese die dort von ihm bewohnte Wohnung betreten wollen. Deshalb lagerte er dort die meisten seiner Waffen geladen und sofort zugriffsbereit und erwarb außerdem in den Monaten vor der Tat sogar noch Ergänzungsteile wie Tragegurte, Magazine und zehn Patronengurte für eine der vollautomatischen Kriegswaffen.

 

Feststellungen des Senats zu den Taten

Der Angeklagte war aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im Bewachungsgewerbe Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis und im Besitz einer Pistole. Auf den ihm im August 2021 zugestellten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis durch das Landratsamt Main-Tauber-Kreis und die Aufforderung, die von ihm zuvor legal besessene Pistole abzugeben, reagierte der Angeklagte nicht. In der Folge leitete die Staatsanwaltschaft Mosbach gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz ein. In Zuge dieses Verfahrens ordnete das Amtsgericht Mosbach die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten in Boxberg-Bobstadt zum Zweck des Auffindens und der Beschlagnahme der Pistole an.

 

Zur Durchführung des Durchsuchungsbeschlusses beauftragte das Polizeirevier Tauberbischofsheim wegen des bekannten Schusswaffenbesitzes, der bekannten verhärteten Staatsfeindlichkeit des Angeklagten und einer Zuordnung seiner Mitbewohner zur sog. Reichsbürgerszene ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der baden-württembergischen Polizei. Die Beamten näherten sich am Morgen des 20. April 2022 kurz nach 6.00 Uhr dem Haus in Boxberg-Bobstadt, dessen Erdgeschosswohnung vom Angeklagten bewohnt wurde. Dabei machten sie ihre Annäherung unter anderem durch Blaulicht, Martinshornsignale und mehrfache laute Rufe erkennbar. Zudem wurde der Angeklagte aufgefordert, aus dem Haus zu kommen.

 

Der Angeklagte hatte aufgrund der Geräusche, Zurufe und des durch die geöffneten Sichtschlitze der Rollläden für ihn deutlich sichtbaren Blaulichts erkannt, dass es sich um mehrere Polizeibeamte handelte, die im Begriff waren, sich Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Dies wollte er ganz wesentlich aus seiner staatsfeindlichen Gesinnung heraus um jeden Preis verhindern. Er betrachtete die Beamten dabei allein als Funktionsträger des von ihm abgelehnten Staatswesens, die es vom Grundstück zu vertreiben galt. Aus diesem Grund und aus seiner staatsfeindlichen Gesinnung heraus feuerte der Angeklagte aus seiner Wohnung insgesamt 45 Schüsse wie folgt ab:

 

Tat 1

Der Angeklagte gab mit dem vollautomatischen Sturmgewehr Zastava M70 zunächst 21 Einzelschüsse in Höhe von Oberkörper und Hüfte auf die vor der Terrassentür stehenden Beamten des SEK ab, von denen gerade einer dabei war, den heruntergelassenen Rollladen aufzuschneiden. Der Angeklagte nutzte dabei aus, dass der Beamte trotz der allgemeinen Gefährlichkeit des Einsatzes angesichts schon minutenlang ausgebliebener Reaktionen des Angeklagten auf die Annäherung des SEK inzwischen mit keinem Angriff auf Leib und Leben mehr rechnete. Der von mehreren Geschossteilen getroffene Beamte erlitt Steck- und Durchschüsse an beiden Oberschenkeln und sank zu Boden. Mehrere der Schüsse trafen einen anderen Beamten nur deshalb nicht im Oberkörper, weil er einen ballistischen Schutzschild vor sich hielt, auf dem die Projektile zerschellten, wodurch der Beamte aber ein schmerzhaftes Hämatom erlitt. Aufgrund des Gegenfeuers des SEK musste der Angeklagte den Beschuss zunächst einstellen.

 

Tat 2

Sodann nahm der Angeklagte aus dem Schlafzimmer und – in rascher Folge – wiederum dem Wohnzimmer diejenigen vier Beamten mit 15 weiteren Schüssen unter Beschuss, die den Verletzten zu einem der Einsatzfahrzeuge zogen. Verletzt wurde niemand, was nur glücklichen Umständen und einer Fahrzeugpanzerung zu verdanken war. Zu weiteren Schussabgaben kam es zunächst nur deshalb nicht, weil andere Beamte des SEK das Feuer erwiderten, sodass der Angeklagte den Beschuss erzwungenermaßen erneut aufgeben musste.

 

Tat 3

Rund zwei Minuten später eröffnete der Angeklagte nochmals das Feuer auf ein anderes mit drei Beamten besetztes Einsatzfahrzeug des SEK, wobei er die verwendete Waffe nunmehr auf Dauerfeuer umschaltete. In Richtung dieses Fahrzeuges gab er drei Feuerstöße mit insgesamt neun Schüssen ab. Drei Projektile trafen das gepanzerte Fahrzeug. Vier Projektile schlugen in die Wand eines in der Schusslinie liegenden Wohnhauses ein, in dem sich mehrere Bewohner aufhielten. Ein weiteres Geschoss traf ein ca. 150 Meter entfernt stehendes Dienstfahrzeug der Polizei. Auch hier kamen nur glücklicherweise keine Menschen zu Schaden.

 

Der Angeklagte handelte bei sämtlichen Taten nicht in Notwehr. Denn der Durchsuchungsbeschluss war rechtmäßig ergangen und dessen Vollziehung nicht zu beanstanden.

 

Feststellungen des Senats zu dem Nachtatgeschehen

Der Rückzug der noch am Haus befindlichen SEK-Beamten erforderte den Einsatz mehrerer Nebelgranaten, wodurch ein Holzstapel entzündet wurde. Das Feuer erfasste zunächst den Carport und griff nach einiger Zeit auf das Haus über. Der Angeklagte hatte zwar die Möglichkeit zu weiteren Schussabgaben. Er sah hiervon aber freiwillig ab und nahm etwas später Kontakt zum Polizeinotruf auf. Nach mehreren Telefonaten entschloss er sich sodann, das inzwischen im Dachgeschoss brennende Haus zu verlassen.

 

Der unverletzt gebliebene Angeklagte wurde festgenommen und noch am gleichen Tag dem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Mosbach vorgeführt. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Bei der Durchsuchung des Wohnhauses stellte die Polizei neben der Tatwaffe drei geladene Kriegswaffen, zwei vollautomatische und drei halbautomatische ebenfalls geladene Schusswaffen, weitere Schusswaffen sowie zahlreiche geladene Magazine und sonstige Patronenmunition mit insgesamt über 5.000 Schuss sicher. Der verletzte Polizeibeamte wurde notoperiert und befand sich zwei Wochen in stationärer Behandlung. Konkrete Lebensgefahr trat infolge der schnellen medizinischen Versorgung nicht ein.

 

Die Strafzumessung des Senats

Strafschärfend war insbesondere das außergewöhnlich hohe Handlungsunrecht zu berücksichtigen, strafmildernd hingegen, dass keine Nähe zur Vollendung vorlag. In die Bildung der Gesamtstrafe flossen neben den Einzelfreiheitsstrafen für die Tathandlungen von bis zu 12 Jahren 6 Monaten auch die für die Waffendelikte verhängte mehrjährige Freiheitsstrafe ein. Beim Angeklagten waren ein eingeschliffener Hang zu schweren Straftaten und eine daraus resultierende Gefährlichkeit zwar nicht sicher feststellbar, aber als wahrscheinlich anzunehmen. Daher hat der Senat die Sicherungsverwahrung vorbehalten. Ferner hat er die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

 

Weitere Informationen zu dem Verfahren

Der Staatsschutzsenat verhandelte seit 5. April 2023 an 33 Verhandlungstagen. Er vernahm dabei 68 Zeugen und 14 Sachverständige und führte zahlreiche Urkunden, Video- und Audioaufzeichnungen sowie Lichtbilder in die Hauptverhandlung ein. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und dem Generalbundesanwalt stehen gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.

 

 

Aktenzeichen

 

7 St – 2 StE 17/22 Oberlandesgericht Stuttgart

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